Die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ im Landkreis Böblingen vom 15. bis 28. März 2021 waren mit mehr als 70 Veranstaltungen trotz Pandemie ein voller Erfolg. So das Resümee des Landrats Roland Bernhard auf der virtuellen Pressekonferenz „IT gegen Rassismus“ am 29. März 2021. Damit aber nicht genug. In der Videokonferenz des Landratsamts erklärten Vertreter von IT-Firmen, wie wichtig ausländische Mitarbeiter für die Branche und damit für einen wichtigen Wirtschaftszweig im Landkreis sind.
Daher plane man, über die Antirassismus-Wochen hinaus unter dem Motto „Landkreis Böblingen bleibt bunt“ eine dauerhafte Kampagne zu etablieren, so die Initiatoren unter der Schirmherrschaft des Landrats. Unter diesem Dach sollen sämtliche Veranstaltungen und Aktionen der Unterstützer:innen und Sponsoren:innen zum Thema Vielfalt und Weltoffenheit zentral gebündelt und koordiniert werden.
Der Landkreis Böblingen ist laut aktueller Erhebungen der innovativste Landkreis in Baden Württemberg. So bleibt er nach dem vom Statistischen Landesamt im Dezember 2020 veröffentlichten Innovationsindex nicht nur die Nummer 1 unter den 44 Landkreisen und einem Dutzend Regionen, sondern hat den Vorsprung gegenüber dem zweiten Platz (Stadt Heidelberg) in den letzten beiden Jahren sogar noch ausgebaut. Zu verdanken ist diese Ausnahmestellung laut Landrat Roland Bernhard der Automobilindustrie und „der hohen Dichte an IT-Arbeitsplätzen“.
Nach Angaben von Katharina Pfister, Leiterin des Amts für Migration im Landratsamt, ist der Anteil der IT-Arbeitsplätze im Landkreis doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Die Sorgen der IT-Branche sind längst bis zum Landrat durchgedrungen: „Sie sucht händeringend nach Fachkräften und ist dringend darauf angewiesen, dass Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen.“ Wenn dann auch ein paar den umgekehrten Weg gehen würden, dann sei das bestimmt kein Fehler. Katharina Pfister: „Keine andere Branche agiert so international.“
Softwarezentrum Böblingen/Sindelfingen: Auffallend viele ausländische Existenzgründer mit an Bord
Zu den Vorzeigeinrichtungen zählt auch in dieser Hinsicht das Softwarezentrum Böblingen/Sindelfingen. Ihm gehören 110 Mitgliedsfirmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern an. Jährlich wagen zwischen fünf und zehn Existenzgründer:innen mit dem Softwarezentrum den Schritt in die berufliche Eigenständigkeit. „Es fällt auf, dass überproportional viele einen Migrationshintergrund haben“, sagt Hans-Ulrich Schmid. Der Geschäftsführer des Softwarezentrums kennt auch den Grund dafür. „Sie stoßen als Mitarbeiter:innen von Unternehmen oft an eine gläserne Decke und erkennen, dass sie sich selbstständig machen müssen, wenn sie weiterkommen wollen.“
Dass dieser Weg zum Erfolg führe, lasse sich belegen, so Katharina Pfister. „Die Zahl der Patentanmeldungen von Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht.“ Die Compart AG, ein Softwarehaus für Dokumenten- und Output-Management und eine der Mitgliedsfirmen des Softwarezentrums, beschäftigt weltweit 170 Mitarbeiter:innen aus 22 Nationen, davon 120 am Stammsitz in Böblingen. „Wir schaffen es nicht, unseren Bedarf an IT-Mitarbeitern mit Absolventen von deutschen Hochschulen zu decken. Deshalb holen wir Leute aktiv aus dem Ausland“, sagt Compart-Chef Harald Grumser. Manche Aufgaben seien allein mit deutschen Mitarbeitern:innen aber auch gar nicht zu erledigen – wie etwa die Entwicklung einer Software, um Dokumente als PDF mit arabischen Schriftzeichen darzustellen.
Hans-Ulrich Schmid sagte dazu, er habe sich über die Einführung von Gebühren an den Universitäten im Land für ausländische Studierende richtig geärgert, denn diese würde genau den falschen Weg zementieren. „Wir sollten nicht Barrieren bauen, sondern uns öffnen. Anders werden wir das erforderliche Niveau bei der Digitalisierung nicht erreichen.“
Andrea Modersohn, geschäftsführende Gesellschafterin der auf Übersetzungen spezialisierten oneword GmbH im Softwarezentrum, weist darauf hin, dass Rassismus nicht unbedingt erst in Formulierungen ausgedrückt werden muss, sondern bereits in Erwartungshaltungen („Chinesen arbeiten unsauber, Südländer sind unpünktlich“) zutage tritt.
Kleine Stellschrauben bewirken einiges
Solche Zuschreibungen seine absolut falsch und würden zeigen, dass man auch an kleinen Stellschrauben drehen müsse. Oliver Messer, Geschäftsführer der Star Cooperation GmbH, sagt zwar, dass in dem Böblinger Unternehmen mit internationalen Standorten die Leistung und nicht die Hautfarbe zähle. Da er aber wie alle Mitarbeiter der Firma, dessen Angebot von der Beratung bis zu elektronischen Geräten reicht, in einer weltoffenen Region leben wolle, unterstützt die Star Cooperation die Initiative „Landkreis Böblingen bleibt bunt“.
Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz wies Katharina Pfister auf das breite Fundament dieser dauerhaften Kampagne für Vielfalt und Weltoffenheit hin. Unter den gegenwärtig 80 Unterstützern befinden sich nur eine Handvoll Unternehmen, die Mehrzahl repräsentiere die breite Gesellschaft: Vereine, Parteien, Schulen, soziale und kulturelle Einrichtungen, Kommunen, Verbände, Gastronomie und Einzelhandel. „Unser Anliegen ist es, ein Zeichen gegen rechts zu setzen“, so die Amtsleiterin für Migration und Flüchtlinge. Das Einstehen gegen Populismus und die drohende Spaltung der Gesellschaft sei der Antrieb. „Das Bündnis hat in den vergangenen Wochen eine enorme Kraft entwickelt.“
Deshalb denke man auch über die Gründung eines gemeinnützigen Vereins nach, der in den kommenden Monaten das Licht der Welt erblicken soll. Landrat Roland Bernhard: „Wir wollen möglichst viele Akteure unter einem breiten Dach versammeln.“
Eine Zusammenfassung der Video-Pressekonferenz „IT gegen Rassismus“ ist hier zu sehen.